Im Interview berichtet Lukas wie er darauf gekommen ist Stock-Footage aus der Schweiz zu produzieren, warum er in der Postproduktion gelegentlich in einen Arbeitsrausch verfällt und wie er die Zeit während dem Lockdown für ein neues Konzept genutzt hat.
Du hast dich auf die Postproduktion spezialisiert. Was reizt dich daran?
Wie man aus Einstellungen, Bildern, Dialogen, Musik und/oder Geräuschen eine Geschichte, einen Spannungsbogen, eine Stimmung generieren kann – das fasziniert mich. Man hat einen Bausatz an Elementen und kann damit etwas erschaffen, das Emotionen provoziert. Aus demselben Material können ganz unterschiedliche Filme entstehen; rasante, epische, bessere oder schlechtere.
Hast du einen bestimmten Stil den du verfolgst?
Die Filme, welche ich schneide und bei welchen ich gelegentlich Regie führe und teils auch Kamera mache, sind meist zwischen 15 Sekunden und maximal 10 Minuten lang.
Ich persönlich mag schnelle, teils auch Zwischen-Schnitte; ein Wechselspiel von Bildern, die etwas länger stehen, gepaart mit kurzen, teils auch abstrakten “Fills”, welche mehr eine Stimmung als eine Information vermitteln. Mood-Filme sind meine Lieblingsdisziplin.
Beim Schneiden ist der Einstieg immer am mühsamsten. Das Visieren, Sortieren und Markieren von teils stundenlangem Footage ist eine Knochenarbeit – aber eine wichtige. Denn man muss sein Material kennen. Der Spass beginnt mit dem Erstellen eines ersten Rohschnitts. Hier können die Legosteinchen auf unterschiedlichste Arten miteinander kombiniert werden. Fragmente von Musikstücken bilden dazu oft das Fundament. Und wenn der Rohbau dieses Konstrukts dann noch mit Geräuschen garniert wird, kann ich schon mal in einen richtigen Arbeitsrausch verfallen. Am nächsten Tag, mit frischem Blick, erfolgt dann aber meist die Ernüchterung. Der Weg bis zur ersten Vorführversion ist oft steinig. Gnadenloses Verwerfen, Umstellen und Verdichten. Ich muss Lösungen finden für Probleme, von denen die meisten gar keine Ahnung haben, dass sie überhaupt existieren.
Im Abnahme-Prozess kann es dann schon noch hie und da zu einem vergossenen Tränchen kommen. Wenn die eine oder andere spektakulär geschnittene Kurve als zu sportlich abgetan wird und begradigt werden muss.
Meine Arbeiten sind aber nicht immer so emotional. Oft ist die Aufgabe auch vergleichbar mit Malen nach Zahlen. Der Spielraum ist dann eher gering– aber auch hier wird um einzelne Frames gerungen. Oder die Herausforderung steckt in der redaktionellen Arbeit, bei der das Rohmaterial inhaltlich auf die Essenz zusammengekürzt und zu einem roten Faden zusammengefügt werden muss.
Wie erlebst du das Arbeiten mit Stock Footage?
Auf Stock Footage zurückzugreifen ist oft eine Notlösung – beruhend auf dem Irrglauben, man könne viel Geld sparen und trotzdem dieselbe Qualität wie bei projektspezifisch gedrehtem Material bekommen. Zudem ist es für alle Beteiligten nicht wirklich befriedigend. Als Editor passendes Stock Footage zu finden ist ein elender Stunden-Friedhof. Der Regisseur oder Produzent meinen, es gäbe doch bestimmt irgendwo noch passenderes Footage zu finden und der Kunde beklagt sich (oft zu recht), dass die Leute, Landschaften, Gegenstände in den Aufnahmen nicht wirklich Schweizerisch aussehen.
Wie bist du dazu gekommen selber Stock Footage zu produzieren?
Vor einigen Jahren habe ich für die Werbekampagne einer Automarke auf viel Stock-Footage zurückgreifen müssen. Nach einem ersten unbefriedigenden Rohschnitt mit Stock Footage bin ich kurzerhand mit meiner Kamera durch die Schweiz gereist und habe selber Aufnahmen gemacht. Seither habe ich oft bei Ausflügen und in den Ferien meine Kamera dabei und mache Aufnahmen. Inzwischen habe ich ein paar Hundert Sujets, welche ich schon in verschiedenen Produktionen verwenden konnte und auch auf dem Stock Footage-Portal Pond5 zum Verkauf anbiete. Reich werde ich damit zwar nicht, aber so kann ich als Editor meinen Kunden einen Mehrwert bieten und hoffe, dadurch noch mehr Mood-Filme machen zu können.
Als Sharing Plattform interessiert uns der Gedanke des Teilens. Siehst du weiteres Potential im Teilen von Aufnahmen oder allgemein im Filmbereich?
Die bestehenden, weltweit agierenden Stock Footage Plattformen finde ich als Vertriebskanal von Stock Footage ausreichend. Zumindest für meine Zwecke braucht’s davon keine Schweizer Lösung. Vielleicht braucht’s mehr das Wissen, dass da oder dort auf den grossen Plattformen oder eben direkt bei mir auch brauchbares Footage aus der Schweiz zu finden ist.
Generell finde ich aber den Sharing Gedanke sehr sinnvoll und nützlich. Bei mir läuft das Ausleihen von Geräten aber meist direkt über persönliche Kontakte.
Was könnte die Arbeit der Schweizer Filmemachenden weiter erleichtern?
Ich würde ein schweizweites, möglichst detailreiches Register/Netzwerk an Freelancern spannend finden. Das Filmportal 451°F leistet da zum Beispiel schon einen Beitrag mit ihrer “Crew“-Rubrik. Meines Erachtens bräuchte es aber eine deutlich genauere Kategorisierung und Suchfunktion. Ein Editor für Dokfilme ist etwas ganz anderes als ein Editor von Werbespots. Wenn man erst dutzende Lebensläufe und Filmografien studieren muss, um zu erfahren was eine Person kann oder eben nicht, dann ist das wenig hilfreich. Es ist die Suchfunktion, die eine Plattform ausmacht.
Auf Cine.Equipment bietest du ein Unterwasser-Gehäuse an. In welchen Gewässern hast du damit bereits Aufnahmen gemacht?
Ich hab damit schon in verschiedenen Gewässern experimentiert; während den letzten Sommerferien in der Maggia im Tessin, in Gebirgsbächen und beim Rheinschwimmen hier in Basel. Das Footage bei Stock-Anbietern besteht oft aus „braveren“ Bildern, Totalen oder Schwenks. Dynamische Detail-Aufnahmen, etwas aussergewöhnliche Perspektiven oder auch mal abstraktere Bilder sind eher Mangelware. Genau sowas lässt sich z.B. mit einem Unterwasser-Gehäuse gut machen. Ich habe nicht wirklich teures Equipment; eine Panasonic GH5 und ein paar Optiken. Dafür nehme ich mein Equipment überall mit und wage auch mal Manöver, die man sich mit einer teuren Kamera zweimal überlegen würde.
Filmequipment zum Mieten von Lukas Gähwiler
Für das Musikvideo “Before we Disappear” von der Band “Days we are even” hast du mit selbst gebastelten Linsen gearbeitet. Welche Erfahrungen hast du damit gemacht?
Lochkameras haben mich schon immer fasziniert. Die Idee dieses Prinzips mit einer Systemkamera zu versuchen ist zwar nicht von mir, aber ich hatte grossen Spass beim Ausprobieren und ein Musikvideo eignet sich prima für solche Experimente. Dabei habe ich Kameragehäuse-Deckel durchbohrt, mit Alufolie beklebt und kleine Löcher in die Alufolie gestochen. Diese Löcher sind nicht besonders lichtstark, ergeben aber ein unscharfes Bild. Mit verschiedenen Gläsern und Lupen vor dem Loch können schöne Bildverzerrungen entstehen – und wenn mehrere Löcher in die Alufolie gestochen werden, gibt’s tolle Doppelbilder. Alte Optiken aus dem Brocki umgekehrt auf ausgebohrte Kameragehäuse-Deckel montiert ergeben teils krasse Makrooptiken. Einen Teil der Aufnahmen vom Musikvideo “Before we Disappear” habe ich in Verkehrs- und Industriezonen von Basel gedreht, der Grossteil ist aber “Found Footage”, welches ich vom Computer-Monitor abgefilmt habe.
Wie hast du die Corona-Krise bisher erlebt und haben sie neue Gedanken oder Ideen bei dir ausgelöst?
Ich hatte das Glück während dem Lockdown gleich zwei “Corona-Filme” umsetzen zu dürfen. Nebst der Betreuung meiner jüngsten Tochter war ich damit gut ausgelastet. Das grosse Loch kam nach dem Lockdown, da hatte ich während gut einem Monat so gut wie keine Aufträge - inzwischen geht’s aber wieder bergauf.
In dieser freien Zeit habe ich mein Stock Footage Archiv erweitert und ein Konzept für eine kurze Reportage über die Altersvorsorge von Selbständigerwerbenden erarbeitet. Die Krise war definitiv ein Schuss vor den Bug und die Zahlungen der Ausgleichskasse geben einen vagen Vorgeschmack, mit was für AHV-Beiträgen man als Selbständigerwerbender in der Pension rechnen kann. Höchste Zeit also, herauszufinden, welche Möglichkeiten für die Altersvorsorge man auch bei einem geringen Einkommen hat.
Das Konzept habe ich einer Kundin aus der Finanz- und Versicherungsbranche geschickt. Sie hat es mit regem Interesse aufgenommen. Wenn alles klappt, wird daraus nun eine Auftragsarbeit.
Du unterrichtest ja auch. Wie bist du den Fernunterricht während dem Lockdown angegangen?
Ich unterrichte an der Schule für Gestaltung Basel Fachunterricht in der Berufslehre Interactive Media Designer/in EFZ. In meinem Kurs erstellen die Lernenden einen einfachen Werbespot - von der Konzeption, dem Dreh bis hin zur Postproduktion. Die Dreharbeiten konnten noch in der Schule vor dem Lockdown durchgeführt werden. Während dem Lockdown haben die Lernenden die Postproduktion dann von zu Hause aus bewältigt. Mittels Videochats und Screensharing konnte ich die Projekte in der Postproduktion betreuen. Das funktionierte ganz gut.
Kurzer Steckbrief:
Name: Lukas Gähwiler
Wohnort/Arbeitsort: Basel
Filmschaffender seit: selbständig seit 2009
Webseite: www.lukas-film.ch
Lieblingsequipment: Schnapsglas, welches man vor die Optik halten kann um Bildverzerrungen zu generieren