Karin Schmid arbeitet aktuell hauptsächlich für kleinere Projekte und Auftragsarbeiten in den Bereichen Musikvideo, Kurzfilm, Imagefilm und Dokumentarfilm. Das sah vor ein paar Jahren noch ganz anders aus. Während 3 Jahren war sie fast ausschliesslich auf grösseren Filmsets wie zum Beispiel bei Tatort-Serien oder dem Episoden-Spielfilm "Heimatland" anzutreffen. Zurück zu grösseren Produktionen will Karin Schmid aktuell nur noch selten. Obwohl..., wenn sich die Gelegenheit bietet als Cutterin zu arbeiten, würde die Sache etwas anders aussehen. Und wenn dabei noch ihre kreative Mitgestaltung gefragt wäre? Ja. So wäre sie bei den “Grossen” wieder vermehrt an Board.

Karin, an welchem Projekt arbeitest du gerade?

Aktuell habe ich geraden den Schnitt für ein Kurzfilmprojekt abgeschlossen, in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Sean Wirz. Es ist eine Mischung aus Kurzfilm und Musikvideo. Ausserdem liegt ein weiterer Kurzfilm zum Schneiden auf meinem Tisch bereit. Dazwischen kam jetzt noch ganz spontan ein Kurzfilm von Adrian Perez in Koproduktion mit dem SRF, welcher gerade auf SRF zu sehen ist. Der Rest steht noch in den Sternen. Im Moment ist die Lage nicht ganz einfach, aber wir werden sehen wie sich diese ganze Corona-Krisenzeit entwickelt. Zum Glück sind wir Filmschaffenden relativ flexibel, was die schwankende Finanzlage angeht. Und eine kurze Verschnaufpause tut manchmal auch ganz gut.

Was hast du auf den "grossen" Filmsets gelernt?

Ich habe in den unterschiedlichsten Bereichen und Positionen bei Spielfilmen und Dokumentarfilmen gearbeitet. Ich mag neue Herausforderungen, kann mich für vieles begeistern und versuche mich ständig weiterzubilden. Letztes Jahr habe ich zum Beispiel angefangen, mein technisches Wissen im Bereich DIT/Data Wrangling übers Kamerawerk aufzubessern. Das Arbeiten auf grösseren Spielfilmsets hat mir Selbstvertrauen mitgegeben, auch für meine eigenen Projekte.

Dreh auf Ibiza

Warum wendest du dich jetzt wieder vermehrt kleineren Projekten zu?

Ich mag an grösseren Filmsets, dass man für kurze Zeit als kleine Familie zusammenwächst und neue Leute kennenlernt. Allerdings fehlt mir dort das Ausleben meiner eigenen Kreativität. Da ist man – in meinem Alter – häufig die Assistenz der Assistenz. Dazu kommt, dass man bei grösseren Produktionen sehr selten am Wohnort dreht und man dann auch schnell mal 1-2 Monate vom Umfeld abgeschottet ist. Ich hatte einfach wieder mehr Lust auf eigene Projekte, kreatives Arbeiten und darauf, meinen Alltag wieder selbstbestimmter zu führen.

In welche Richtung willst du in Zukunft mit deiner Arbeit gehen?

Die Phase als Freelancerin bei Spielfilmen hat mir geholfen herauszufinden was ich wirklich machen will. Für kleinere Projekte mache ich nach wie vor sehr gerne Kamera und Regie, aber längerfristig und im grösseren Rahmen zieht es mich zum Schnitt. Es gibt ja Menschen, die wissen schon sehr früh was genau sie machen möchten, ich gehöre zu den Menschen, die eine Weile brauchen um das erst herauszufinden. Auch wenn ich dadurch ein paar Umwege mehr gemacht habe, bereue ich diesen Prozess nicht. Ich finde es spannend, wie sich mein Weg entwickelt und bin gespannt wie meine Arbeitssituation in einem, zwei, drei Jahren aussehen wird.

Du hast bereits verschiedene Aufträge im Musikbereich umgesetzt. Was spricht dich an diesen Projekten an?

Eine meiner Leidenschaften gilt der Musik im Film. Das spiegelt sich auch in meinen Auftragsarbeiten wieder, welche häufig Musikvideos oder Konzertveranstaltungen sind. Finanziell gesehen lohnen sind Musikvideos in der Regel nicht, aber es macht Spass, weil man sich dabei filmisch austoben kann. Nach Möglichkeit arbeite ich beim Drehen von Low-Budget-Produktionen gerne mit meiner Schwester zusammen. Wir ergänzen einander sehr gut, probieren neue Dinge aus und haben meist sofort unzählige Ideen. Es gilt dann jeweils eine abstruse Idee zu einem durchführbaren Konzept weiter zu entwickeln. Ich mag es – vor allem wenn ich selber hinter der Kamera stehe – wenn ich spontan auf Ereignisse reagieren kann und im Voraus nicht schon alles durchgeplant ist.So haben wir zum Beispiel für die Newcomer-Band AriesZaes ein Musikvideo gedreht, bevor sie überhaupt eigene Musik hatten. Passend dazu wurde eine leere Lagerhalle ausgewählt, alles weitere hat sich dann daraus ergeben. So auch das analoge Blitzlicht, das sich im Nachhinein als sehr passend zur elektronischen Musik herausgestellt hat. Entstanden ist ein Teaser für das mittlerweile mit Musik gefüllte Album.

Teaser für das Album "Debris" von AriesZaes mit einer Komposition von mehreren Songs des Albums. Schmiderei: Regie, Kamera & Schnitt, Grading

Musikvideo "Tobi Gmür - Empfschtoff" Schmiderei: Regie, Kamera & Schnitt, Grading

Was gefällt dir am Schnitt und wie gehst du an einen Schnitt heran?

Am Schnitt gefällt mir das puzzeln. Sobald du einen Schnitt machst, beeinflusst es die ganze Geschichte wieder neu. Man hat eine bestimmte Anzahl von Material, ist aber je nach Projekt sehr frei wie man die Geschichte schlussendlich erzählen will. Bei jedem neuen Projekt startet man wieder bei Null, es gibt keine Routine und das macht es spannend. Es ist eine schöne Mischung aus dramaturgischen Überlegungen und intuitivem Ausprobieren. Es ist wie eine Art Puzzlespiel mit fliessenden Ecken.

Schnittsequenz für ein aufwändiges Musikvideo mit 20 Videospuren


Das A und O beim Schnitt ist die Ordnung des Materials im Schnittprogramm.Wenn da schon von Anfang an ein Chaos herrscht, wird der Schnitt zäh. Wenn du die Puzzlestücke immer wieder im ganzen Raum, unter der Kommode und dem Bett suchen musst, machts keinen Spass. Danach kommt die Sichtung vom Material, das Aussortieren und Erstellen eines Rohschnitts. Es dauert am Anfang eine Weile, um erstmal einen Überblick vom gesamten Material zu bekommen und ein Gespür dafür was man daraus machen könnte, erst nach diesem Prozess fängt die kreative Schnittarbeit an. Um die Objektivität im Schnitt nicht zu verlieren, versuche ich ab und zu den Schnitt mit „frischen“ Augen zu betrachten. Entweder lasse ich das Projekt ein paar Tage ruhen, oder ich versuche mir vorzustellen, als hätte das Projekt eine andere Person geschnitten, da fallen Ungereimtheiten schneller auf. Auch hilft es, den Schnitt Freunden oder Familienmitgliedern zu zeigen, um Rückmeldungen zu erhalten. Ich versuche möglichst offen für Kritik und Anmerkungen zu sein, bei einem Filmprojekt sollte der eigene Stolz nicht im Weg stehen. Die Arbeit soll ja dem Projekt dienen und nicht in erster Linie dem eigenen Ego.

Als Cutterin erhältst du ja Rohmaterial, welches du dir nicht selber zusammen gefilmt hast. Wie erlebst du das?

Einen Vorteil für den Filmschaffenden ist, dass ein unabhängiger Cutter eine objektive Sicht auf das Material hat. Wenn man bei eigenen Projekten Regie macht, filmt und auch schneidet, besteht die Gefahr, dass man durch den subjektiven Blick zu sehr am Material hängt, weil zum Beispiel eine Szene sehr aufwändig war, ein Kostüm teuer war oder man sonstige Faktoren findet, weshalb man die Szene gerne im Film drin haben möchte. Ein Cutter kennt diese Nebengeschichten nicht und konzentriert sich nur auf das vorliegende Material, was in der Regel dazu führt, dass es dem Film schlussendlich besser dient. Ein weiterer grosser Vorteil ist, dass regelmässig über den Schnitt diskutiert wird, man so auf neue Ideen kommt und den Schnitt immer wieder hinterfragen muss.

Welche Rolle spielt für dich das Equipment, welches für den Film verwendet wird?

Welche Kamera für das Projekt verwendet wurde, oder ob der Dreh sehr aufwendig war, ist für mich als Cutterin eher zweitrangig, auch wenn ich natürlich gerne schöne Bilder zum Schneiden habe. Im Idealfall unterstützt der Look der Bilder die Geschichte. Allgemein finde ich, dass das Equipment manchmal – vor allem bei jüngeren Filmemachern – einen zu grossen Stellenwert bekommt. Natürlich ist es schön, wenn man sich mit gutem Equipment austoben kann und dadurch sicher auch für sich selber viel lernen kann, aber ich finde man sollte sich auch gut überlegen, wo der Fokus des Filmes liegt und das ist ist nach wie vor eine gute Geschichte. Zumindest sollte die Geschichte und die Liebe zum Detail durch die Technik nicht in den Hintergrund rücken. Mir gefallen grundsätzlich Videos und Filme sehr gut, die durch Einfachheit bestechen. Ich drehe am liebsten sehr simpel, meist ohne zusätzliches Licht, ausser es lässt sich nicht vermeiden. Viel technisches Equipment finde ich eher lästig, durch den Aufbau und die ganze Warterei gehen tolle Momente verloren. Da bin ich sicher auch geprägt vom Dokumentarfilm-Studium an der Hochschule Luzern.

In der Filmproduktion sind ja zur Zeit noch mehr Männer vertreten. Wie erklärst du dir das?

Das ist mit Sicherheit so, gerade in den technischen Berufen gibt es noch nicht viele Frauen. Oftmals haben Frauen nach wie vor zu grossen Respekt vor technischen Berufen. Ich habe das Gefühl es liegt in der Natur von uns Frauen, dass wir uns erst dann etwas zutrauen, wenn wir schon im Voraus jeden kleinsten Aspekt des neuen Jobs verstehen und umsetzen können. Das hindert uns manchmal daran, auch mal einfach ins kalte Wasser zu springen, selbst wenn man noch nicht alles weiss. Männer machen das grundsätzlich besser und gehen lockerer an die Sache ran, auch wenn sie noch nicht alles können oder wissen. Da können wir uns eine Scheibe davon abschneiden.

Interview am Zermatt Unplugged mit James Morrison

Was sind deine Erfahrungen als Frau in der Filmbranche?

Als Frau wird man häufig schneller kritisiert oder belächelt, wenn Fehler passieren. Deswegen braucht es sicher auch etwas Mut und eine gewisse Einstellung dazu, dass dann schon alles gut werden wird. Als ich Kamerafrau bei einem Fernsehsender war und mit einem Moderator unterwegs war, wurde ich mehrmals automatisch als Moderatorin angesprochen, obwohl ich die Kamera und das Stativ in den Händen hielt. Auch habe ich schon Fragen gehört wie „Wo ist der Kameramann?“. Aber da muss man halt auch ein wenig drüber stehen und sich nicht verunsichern lassen. Als ich als DIT/Data Wranglerin gearbeitet habe, habe ich auch schon Bemerkungen gehört von der Crew, dass es cool sei, mal eine Frau in dieser Funktion am Set zu haben. Es braucht sicher auch mehr weibliche Vorbilder, damit es selbstverständlich wird, eine Frau in dieser Position zu besetzen.

Warum machst du bei Cine.Equipment mit?

Ich habe mich bei Cine.Equipment angemeldet, weil ich es eine gute Idee finde, Filmmaterial von Privatpersonen an andere Filmschaffende zu vermieten. Einerseits finde ich toll daran, dass man sich dann nicht alles selber anschaffen muss, was ein grosser finanzieller Aspekt ist und zudem ist bei uns in der Schweiz schon ein recht grosser Pool an Material vorhanden. Warum soll man den nicht teilen? Es entwickelt sich ja immer mehr auch in die Richtung, dass man nachhaltiger denkt und Dinge teilt, statt alles nur für sich selber zu horten. Ich glaube, es ist eine grosse Bereitschaft unter den Filmschaffenden da, sein Material zu vermieten, solange Sorge zum Material getragen wird und man sicher sein kann, dass das Material bei Schäden korrekt versichert ist. Eigentlich kann man ja dadurch nur gewinnen.

Siehst du noch andere Vorteile beim Nutzen einer Sharing-Plattform für Schweizer Filmschaffende?

Die Plattform bietet natürlich auch eine Möglichkeit sich mit anderen Filmschaffenden zu vernetzen, was besonders für junge und angehende Filmmachende sehr wichtig ist. Persönliche Beziehungen in der Filmwelt sind immer noch das A und O und das wird sich sobald auch nicht ändern.

Wie erlebst du aktuell die Schweizer Filmszene?

Es ist – gerade auch für junge Filmschaffenden wie mich – sehr schwierig in grösseren Filmprojekten aufzusteigen, ohne dass man jahrelang als Assistenz gearbeitet hat. Einerseits verstehe ich die Filmschaffenden, die schon lange dabei sind, die sich den Platz ebenfalls erkämpfen mussten. Andererseits gibt es kaum Chancen, die auch bezahlt sind, um sich zu beweisen. Junge Filmschaffende brauchen meist Jahre um in der Filmwelt ernst genommen zu werden und es braucht einen sehr starken Willen um längerfristig bestehen zu können.

Siehst du Möglichkeiten dem entgegenwirken?

Ich denke, dass es beispielsweise sehr wichtig ist in einem Filmstudium Kontakte zu fördern, durch eine Zusammenarbeit mit anderen Studierenden aber sicher auch mit Filmschaffenden, die schon länger in der Branche sind. Ein Studium an einer Filmhochschule finde ich aber nach wie vor nicht zwingend für die Arbeit in der Filmbranche. Viel wichtiger sind das Interesse und das Engagement. Gerade für Neueinsteigende wäre es sicher sehr wertvoll, wenn sie sich an einen Götti oder Gotti wenden könnten, beispielsweise über einen regionalen Filmverband.

Wie siehst du deine eigene Zukunft in der Schweizer Filmszene?

Nebst meinen selbstständigen Projekten möchte ich längerfristig gerne auch als Cutterin für grössere Projekte arbeiten. Da sehe ich eine Gefahr, dass ich bei grösseren Projekten jahrelang in der Schnittassistenz-Position stecken bleiben werde. Bei jedem neuen Projekt muss man sich überlegen, wie einem das für die eigene Karriere weiterhelfen kann und was der richtige Weg sein könnte, um sein Ziel zu erreichen.

Was man gerade aktuell durch die Corona-Krise sehr stark sieht ist, dass die selbstständigen und freischaffenden Filmemacher kaum eine finanzielle Absicherung haben. Da erhoffe ich mir für die Zukunft bessere Lösungen. Auch sieht man in dieser Zeit umso deutlicher, dass man sich nicht unter dem Marktwert verkaufen sollte, selbst auch wenn man erst am Anfang seiner Karriere steht. Schliesslich dient der Lohn auch als Absicherung für schwierigere Zeiten wie jetzt. Aber das ist einfacher gesagt, als getan. ;-)

Dreh mit Berg&Berg

Kurzer Steckbrief:
Name: Karin Schmid
Wohnort/Arbeitsort: Bern, Breitsch
Filmschaffende seit: 2013, ab Bachelorstudium an der HSLU. Seit 2017 Selbstständig.
Webseite: www.schmiderei.com